2. Juli 2019 dominique roth

Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft

Frust durch Frist

Kaum eine Berufsgruppe ist so qualifiziert wie Wissenschaftler und Forscher. Und kaum eine Berufsgruppe ist so wichtig für Fortschritt und wirtschaftliche Entwicklung wie sie. Doch die Arbeitsbedingungen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind so prekär wie in kaum einem anderen Metier. Kettenbefristungen sind die Regel – oft mit einer Vertragslaufzeit von unter einem Jahr.

Das Futurium am Berliner Spreebogen. Steffens* Gesicht spiegelt sich in den dreieckigen, türkisfarbenen Kacheln, die sich entlang der Seitenwände mit Glasscheiben abwechseln. Auf der Vorderseite stülpt sich das gesamte Gebäude über seinen zurückgenommenen, komplett verglasten Eingangsbereich. Alles in allem sieht es aus wie ein auf Hochglanz polierter, nach vorne geöffneter Lüftungsschacht. Das Haus der Zukünfte, wie es auf der Homepage heißt, soll „Raum geben für Visionen und Ansätze aus Wissenschaft und Forschung für die Lösung zentraler Zukunftsherausforderungen.“ Und weiter: „Im Kern geht es dabei immer um die Frage ‚Wie wollen wir leben?‘“

Auch Steffen hat sich diese Frage schon mehrfach gestellt – allerdings vor einem anderen Hintergrund. „Vor etwa einem Jahr war ich an einem Punkt in meinem Leben“, rekapituliert der 31-jährige Wissenschaftler, „da habe ich schon Zweifel an meiner beruflichen Situation gehabt.“ Junger Familienvater, befristet beschäftigt und ohne belastbare Perspektive in seinem Institut. „Für mich war eigentlich klar“, erklärt Steffen, „dass ich mit einer wissenschaftlichen Karriere – Doktorand, Promotion, Postdoc – nur meine prekäre Lage vor mir herschiebe.“ Immerhin gebe es unter seinen Kollegen genügend abschreckende Beispiele dafür. Forscher in den späten 40ern, die immer noch keine entfristete Stelle hätten. „Einer ist sogar schon über 50“, erzählt Steffen und schüttelt den Kopf.

Wie passt das zusammen? Bestens ausgebildete, engagierte junge Menschen sind derzeit überall gefragt: laut einer aktuellen, repräsentativen Umfrage der DZ Bank und des Bankenverbandes BVR nannten 96 Prozent der befragten Unternehmen den Fachkräftemangel als drängenstes Problem. Auf der anderen Seite beschäftigen Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen Scharen von Doktoranden und Postdocs, also Wissenschaftler, die bereits promoviert haben, immer noch befristet – in den allermeisten Fällen ohne Sachgrund. Laut dem Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN) 2017 haben 84 Prozent aller Nachwuchswissenschaftler an außeruniversitären Forschungseinrichtungen einen befristeten Arbeitsvertrag. An Hochschulen liegt die Quote gar bei 93 Prozent. Über die Hälfte aller Arbeitsverträge mit wissenschaftlichen Mitarbeitern an Hochschulen und Forschungseinrichtungen wie der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft haben eine Laufzeit von unter einem Jahr. Zwölf Prozent der Promovierenden sind sogar armutsgefährdet, weil sie weniger als 826 Euro im Monat verdienen. In deutschen Großstädten wächst ein neues, bestens ausgebildetes Prekariat heran.

Bestens ausgebildetes Prekariat

Sie würde es nicht noch einmal machen, nein. Nach kurzem Nachdenken ist sich Karlotta* sicher. „Vor ein paar Wochen hätte ich wahrscheinlich noch anders geantwortet“, sagt die 32-jährige Doktorandin, „aber wenn ich jetzt noch einmal die Wahl hätte, ob ich nun promoviere oder einfach anfange zu arbeiten – dann würde ich mich für das Zweite entscheiden.“ Karlotta wirkt enttäuscht über die Arbeitsbedingungen in der deutschen Forschungslandschaft. Auch wenn sie natürlich grundsätzlich gewusst habe, auf was sie sich einlässt, sagt die Sozialwissenschaftlerin aufgeräumt, sei für sie erschreckend gewesen, mit welcher Konsequenz sich dieser Missstand in der täglichen Arbeit niederschlägt. „Professoren zum Beispiel“, betont sie, „haben überhaupt kein Interesse daran, Doktorarbeiten schnell durchzubekommen.“ Ihnen seien die den Promotionen zugrunde liegenden Projekte oft wichtiger. Folglich bleibt den Doktoranden laut Karlotta kaum noch Zeit für ihre eigene Arbeit. „Letzten Endes führt das alles dazu, dass wir Unmengen unbezahlter Überstunden machen müssen.“

Karlotta selbst hat offiziell eine 65-Prozent-Stelle, ist aber nach eigener Aussage zumeist Vollzeit mit dem Projekt beschäftigt. „Die meisten von uns machen ihre Doktorarbeit nebenbei“, fährt sie fort. Für sie als Frau sei diese Art der Beschäftigung doppelt problematisch. „In meinem Umfeld gibt es viele, die jetzt Kinder bekommen“, sagt sie, „aber das möchte ich mit einem Zweijahresvertrag eigentlich nicht.“ Karlotta berichtet von viel Frust in der Wissenschaftslandschaft, der sich durch die Kettenbefristungen immer breiter macht. „Dieses ständige Hangeln von Projekt zu Projekt, von einer Befristung in die nächste, sorgt für ein sehr angespanntes Arbeitsklima.“

Ein Arbeitsklima, für das hauptsächlich das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) verantwortlich ist, das 2007 In Kraft trat und 2018 abgeändert wurde. Es hebelt das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) für wissenschaftliches und künstlerisches Personal aus – mit ihm sind befristete Beschäftigungen über zwölf Jahre hinweg ohne besonderen Sachgrund möglich. Denn für eine Doktorandenstelle wird man in der Regel bis zu sechs Jahre angestellt, das gleiche gilt für die Stelle als Postdoc.

Ansehen und Prestige dominieren Forschungslandschaft

In Fachkreisen haben diese Kettenbefristungen sogar schon einen entsprechenden Namen bekommen: die ZwölfJahres-Regel – die jedoch noch ausgeweitet werden kann, wenn etwa der entsprechende Wissenschaftler in Elternzeit geht oder Medizin studiert, dort ist es bis zu 15 Jahren zulässig. Ganz ausgehebelt wird diese Befristungshöchstdauer sogar, wenn die betroffene Stelle hauptsächlich über Drittmittel finanziert wird – was in der wissenschaftlichen Praxis heutzutage eher die Regel als die Ausnahme ist.

Auch Karlotta ist seit kurzer Zeit auf eine über Drittmittel finanzierte Stelle gewechselt. „Dort ist die Bezahlung in der Regel besser“, erklärt sie, „außerdem sind diese Stellen näher an der Forschung und daher auch attraktiver.“ Überhaupt gehe es in der Forschung hauptsächlich um Ansehen und Prestige. Denn mit einem entsprechend prominenten Namen ließen sich leichter Drittmittel einsammeln, was wiederum dazu führt, dass diese Personen größere Budgets, größere Teams und größere Forschungsprojekte verantworten dürfen. „Drittmittel sind für Professoren das A und O, mit denen werden dann neue 50 Prozent Stellen geschaffen“, meint Karlotta. „Die Mehrarbeit wird einkalkuliert oder zumindest in Kauf genommen.“

Wissenschaft und Forschung sind mit der Flut an neuen Mitarbeitern schlicht überfordert. Es gibt keine Strukturen und keine verstetigten Mittel, den in den vergangenen zwanzig Jahren rasant angewachsenen Mittelbau an Unis und Forschungseinrichtungen Karrierechancen zu bieten. Seit 2000 ist laut BUWIN der wissenschaftliche Nachwuchs an Hochschulen um 76 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Professoren nur um 21 Prozent an – ein Flaschenhals. Ein Hauen und Stechen um die begehrten Plätze ist die Folge.

Ein Phänomen, das Steffen in der Wissenschaft nicht für möglich gehalten hat. Doch als er und ein paar Kollegen zusammen an einem Projekt arbeiteten, wurde er eines Besseren belehrt. „Wir brauchten Blutproben für ein Experiment“, schildert er den Vorgang. „Und der Kollege für die Blutproben stellte die Bedingung, dass er unter dem Bericht als Erster genannt wird – andernfalls wollte er die Proben nicht zur Verfügung stellen.“ Den Erst- und Letztgenannten schiebt er erklärend nach, werde die Verantwortung für die Arbeit zugeschrieben. Dem Erstgenannten die inhaltliche, dem Letztgenannten die organisatorische. „Also für gewöhnlich die Besorgung der Drittmittel“, sagt Steffen. Für die Beteiligten eines Projekts, die unter dem Bericht in der Regel in der Mitte stehen, würde sich hingegen kaum jemand interessieren. Wer de facto für welchen Teil verantwortlich zeichnet, sei eigentlich egal.

Für ihn selbst sei es inzwischen nicht mehr entscheidend, ob er vorne, hinten oder dazwischen Erwähnung findet. „Ich habe zum Glück vor ein paar Monaten eine entfristete Stelle an meinem Institut bekommen“, lächelt er zufrieden. Das Hauen und Stechen überlässt er seitdem anderen.

*Die Namen der Protagonisten wurden von der Redaktion geändert.